Kommt jetzt eine Zensurbehörde für Tiktok, Facebook und X?
Mit dem «Digital Services Act» will die EU große Onlineplattformen wie Facebook und Tiktok besser regulieren. Ist das sinnvoll und nötig oder droht Zensur?
Das ist passiert
Die EU hat Ende 2022 den «Digital Services Act» (DSA) beschlossen, in der Folge trat in Deutschland am 24. Mai dieses Jahres
das «Digitale-Dienste-Gesetz» in Kraft. Das Gesetz zielt darauf ab, digitale Services und insbesondere besonders große
Onlineplattformen, die täglich mindestens 45 Millionen Nutzer in der EU
erreichen, besser zu regulieren. Es geht also um Megaplattformen wie Tiktok, X,
Facebook, Instagram und Co.
Das sind die Ziele des DSA
Ziel ist es, Innovation, Wachstum und Wettbewerbsfähigen des EU-Binnenmarkts zu
fördern. Gleichzeitig soll «ein Rahmen für eine bessere Transparenz sowie klare
Verantwortlichkeit von Onlineplattformen geschaffen werden». Was offline illegal
ist, soll auch online illegal sein. Das Gesetz definiert aber nicht, was unter
illegalen Inhalt genau zu verstehen ist. Das wird auf nationaler oder EU-Ebene
ausgearbeitet.
Darum ist das wichtig
2,9 Milliarden Nutzer posten tagtäglich 300 Millionen Beiträge auf Facebook. Auf
Instagram sind es 1,3 Milliarden Nutzer, die 95 Millionen Fotos und Videos pro
Tag posten. Auf Musks X sind es jeden Tag 500 Millionen Tweets. Diese Zahlen
zeigen: Die öffentliche Meinungsbildung findet heute zu einem grossen Teil online
statt.
Wie betrifft das die Schweiz & Deutschland?
Der Bundesrat strebt ebenfalls eine Plattformregulierung an, die an den DSA
angelehnt sein soll. Das Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
(Uvek) arbeitet dazu derzeit einen Entwurf aus, der im Dezember erwartet wird.
Das sind die größten Streitpunkte
Im Zentrum steht die Frage, ob die Regulierung nötig und sinnvoll ist und die
User vor Fake News und Willkür der Plattformen schützt oder ob sie Regierungen
und Behörden ein Instrument an die Hand gibt, um willkürlich Meinungen zu
unterdrücken, die den Regierenden nicht gefallen. Gegner der Regulierung mahnen,
dass eine Zensurbehörde drohe.
DANIEL GRAF
«Lügen muss erlaubt sein, Profit durch Hetze nicht»
Presse beleuchtet in einer Interviewserie die Vor- und Nachteile der Plattformregulierung. Wir sprechen mit Befürwortern und Gegnern. Den Anfang macht Angela Müller,
Geschäftsleiterin von Algorithm Watch. Sie befürwortet eine Regulierung.
Wieso muss der Staat regulieren, was auf Facebook, X und Co. gesagt wird?
Das Gros der öffentlichen Meinungsbildung findet auf Social Media statt. Doch wir haben keine Ahnung, was die Algorithmen hochspülen und welche Meinungen nicht gezeigt
werden. Diese Intransparenzund Machtkonzentration sind für die Meinungsbildung in einer Demokratie ein Problem .
Inwiefern?
Weil dahinter ein Geschäftsmodell der großen Firmen steht. Sie verdienen Geld an Werbung. Dazu setzen sie Algorithmen ein, die uns möglichst lange auf der Plattform
halten sollen. So kann es dazu kommen, dass diese Algorithmen verstärkt Inhalte anzeigen, die
polarisierend, falsch, diskriminierend oder
hetzerisch sind.
Muss der Staat eingreifen, wenn Posts nicht strafrechtlich relevant sind?
Nein. Niemand will eine Zensurbehörde. Es geht nicht darum, Meinungen zu löschen. Sondern
darum, die Plattformen zur Verantwortung zu
ziehen, wenn sie mit dem Verbreiten von hetzerischen Inhalten ihren Profit maximieren. Wir
müssen online eine gesunde und faire Debatte
sicherstellen. Aber es sollen keine Inhalte verboten werden, die nicht illegal sind. Lügen
muss in einer Demokratie weiterhin erlaubt sein.
Den Plattformen drohen Milliardenbussen. Löschen sie so nicht vorsorglich zu viel?
Sie dürfen nicht automatisch für alles haftbar gemacht werden, was Menschen über ihre Dienste
teilen. Das wäre fatal, dann drohte tatsächlich
Overblocking. Aber es darf eben nicht nur um ihre Profitmaximierung gehen. Unsere
demokratische Meinungsbildung darf nicht von
dieser Maxime geprägt sein. Und: Die Bussen im DSA sind an die Jahresumsätze gekoppelt. Sie sind also nur so hoch, weil die Plattformen Jahrfür Jahr Dutzende
Milliarden Umsatz machen.
DGR
Nächste Interviews: Jurist Manfred Kölsch befürchtet: «wir opfern die Meinungsfreiheit der Zensur». Digital-Spezialist Erik
Schönenberger warnt vor Medienverboten in der Demokratie. Und Valentin Rubin von Reporter ohne Grenzen plädiert für starke Medien.