ZWEITER WELTKRIEG Jüdische KZ-Gefangene stießen 1944/45 in
Freiwalde auf Retter
Damals Todesmärsche durch die Lausitz
ZWEITER WELTKRIEG Jüdische KZ-Gefangene stießen 1944/45 in Freiwalde auf Retter
Nur wenig ist bisher im Dahme-Spreewald-Kreis bekannt, was sich entlang des Marschweges der jüdischen Frauen aus den Konzentrationslagern
abgespielt hat, kaum kennt man die Gräber der Opfer. Und auch das beispielhafte Verhalten der Bäuerin Else Noack und des Bürgermeisters Gustav
Beiche in Freiwalde ist über den Ort hinaus bisher nicht bekannt gewesen.
,,. . . endlich ließen wir die Schornsteine von Auschwitz hinter uns. . ." Vielen der 2000 jüdischen Frauen und Mädchen, die Ende Oktober 1944 das
Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verließen, wird dieser Gedanke durch den Kopf gegangen sein. Aber von vielen blieben auch Eltern, Großeltern
und jüngere Geschwister dort, ermordet in den Gaskammern. So auch von Katharina Ilkovic, die ihre Mutter und Schwester Eva in Auschwitz verlor.
Die Frauen und Mädchen wurden in Eisenbahnwaggons getrieben. In Pürschkau, östlich von Glogau, kamen sie an. Auf einem Gutshof wurden sie in
Scheunen gesperrt und mussten die nächste Zeit Gräben ausheben, in denen die bedrohlich näher heranrollenden russischen Panzer stecken bleiben
sollten. Katharina, die heute Katheryne Morgan heißt und in New York lebt, schrieb: ,,Eines Morgens wurden wir aus den Baracken herausgeholt (...). Es
war der Tag, an dem wir den schrecklichen Todesmarsch antraten - nach Bergen-Belsen. Während der bitterkalten Tage marschierten wir durch Städte und
Dörfer, durchfrorene, hungrige Skelette (...) Diejenigen, die am Straßenrand hinfielen, wurden erschossen (...)" Am Abend des 21. Januar 1945 war die
Kolonne der Frauen und Mädchen der Lager Schlesiersee I und II, Außenlager des KZ Groß-Rosen, zu diesem Marsch aufgebrochen. Spätabends
erreichten am 28. Januar etwa 1750 den ersten Marschabschnitt überlebende Frauen und Mädchen das Lager in Grünberg, dem heutigen Zielona Gora.
Die aus Brno (Brunn) stammende Lene Scheuer schreibt: ,,Ich war nahe daran, mich unter das erste Lastauto zu werfen, denn ich wollte nicht am Abend
erschossen werden wie diejenigen, die nicht weiter konnten. .. Jedenfalls war Grünberg ein Wendepunkt. Ich beschloss, weiterzuleben. Nachdem wir
morgens losgingen, suchte ich eine Gelegenheit zu fliehen. (...) Bei einer Gelegenheit rutschte ich die Straßenböschung hinunter, fand einen Eingang in
den Keller eines Gasthauses, sperrte mich in eine Toilette ein und wartete. Als ich mich herauswagte, war unsere Kolonne weg. (. . .) Schließlich setzte ich
meinen Plan, das Reichsprotektorat , die okkupierte Tschechoslowakei, zu erreichen, in die Tat um. Auf abenteuerlichen Wegen, über Cottbus, Dresden
und Leitmeritz, kam ich am 4. Februar 1945 in Prag an, musste aber bald die Stadt wieder verlassen (...)"
Die Marschkolonne hatte von Grünberg ihren Weg über Crossen an der Oder (Krosno Odrzanski) nach Guben genommen, war dort einige Tage im bereits
geräumten Lager bei der Rüstungsfabrik C. Lorenz geblieben, bevor sie südwärts nach Cottbus zog. Von hier aus schwenkte die Marschroute wieder
nordwärts, verlief wahrscheinlich über Vetschau - Lübbenau - Lübben in die Gegend von Freiwalde.
Hier entschied sich das aus
Sosnowiec stammende
Schwesternpaar Jehudit und
Zipora Neugebauer zur Flucht, um
der drohenden Erschießung zu
entgehen. In ihren späteren Berichten
sagten sie, dass die Jüngere,
die gerade 17-jährige Zipora, nur
mehr etwa 30 Kilogramm
gewogen und bereits Hunger-
Halluzinationen gehabt habe.
Sie musste beim Marsch von ihrer
Schwester Jehudit und
anderen Frauen gestützt werden.
Jehudit beschloss, mit Zipora
zurückzubleiben, auch auf die Gefahr
hin, entdeckt und erschossen
zu werden. Zum Glück wurden sie
nicht gefunden. Sie
versteckten sich in einer Scheune.
Später ging sie zu einem
Bauernhof im Ort Freiwalde und gab
sich als ,,verirrte
Volksdeutsche" aus. Die Bäuerin EIse
Noack, allein stehend mit zwei
Kindern, der Mann im Krieg, konnte
Hilfe gebrauchen und behielt sie. Sie ahnte wohl, dass es sich um eine geflüchtete Frau aus jener Marschkolonne handelte, die durch den Ort gekommen
war. Bürgermeister Gustav Beiche, dem sie sich anvertraute, deckte sie. Er hatte selbst schon den jüdischen Arzt Dr. Michel und dessen Schwester
Elfriede, die im Dorf lebten, geschützt.
Als russische Truppen gegen Kriegsende auch ins Dorf Freiwalde kamen, hob ein Zufall die Tarnung der Schwestern auf. Ein russischer .Offizier sorgte
dafür, dass die Schwestern als Krankenpflegerinnen mit den russischen Truppen weiterzogen. Bald konnten sie mit einem Verwundetentransport nach
Kattowitz fahren. Von dort gelangten sie in die Heimatstadt Sosnowiec.
In einer Art Wohngemeinschaft lebten sie eine Zeit im großen Haus des Rabbi, das von den zurückkehrenden KZÜberlebenden besetzt worden war, da
sich in ihren früheren Wohnungen Polen eingerichtet hatten. Eines Tages kam auch die Schwester Hadasa aus einem KZ in Böhmen zurück. Später
wanderten die drei Schwestern, wie viele überlebende Juden, nach Israel aus.
Die anderen Frauen der Kolonne, darunter Katharina Ilkovic, marschierten bis Jüterbog, wurden dort einwaggoniert und bis Bergen-Belsen transportiert.
Dort wurden noch viele Opfer der chaotischen Zustände im Lager, erkrankten an Typhus oder verhungerten.
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